Interview: Digitale Reisebegleiter sind „so einfach wie Lego“

Keine umständliche Suche nach dem besten Reisemittel. Keine Schlange am Ticketautomat. Michael Frankenberg, CEO der Siemens-Tochter Hacon, erklärt, wie Siemens unterschiedliche Transportmittel sinnvoll zu einem Ökosystem verknüpfen kann und Mobilität so gänzlich zum Service wird.

Herr Frankenberg, wie kommen Sie jeden Tag zur Arbeit?

 

Auf die schnellste und preiswerteste Art und Weise: zu Fuß. Ich wohne in unmittelbarer Nähe zum Hacon-Hauptsitz in Hannover. Daher wäre die Frage nach meiner generellen Reisepräferenz sicherlich etwas ergiebiger.

Dann anders gefragt: Wie sind Sie unterwegs, wenn Sie geschäftlich oder auch privat reisen, und wie sieht ihre perfekte intermodale Reise aus?

 

Ich bin absoluter Enthusiast öffentlicher Verkehrsmittel und besitze gar kein Auto. Ob in den Urlaub oder zu Geschäftsterminen: Ich reise stets mit sämtlichen verfügbaren Verkehrsmitteln. Da bekommt man mehr mit vom realen Leben und auch den Mobilitätsproblemen. Es erstaunt mich selbst immer wieder, wie die Kombination verschiedener Anbieter zu schnelleren Verbindungen führen kann, als es bei reiner Bahn- oder Pkw-Nutzung möglich wäre. Die ideale Reise wäre für mich dann erreicht, wenn ich, am Ziel angekommen, automatisch ein Ticket für alle genutzten Transportmittel zahlen würde. Alles, was ich bräuchte, wäre mein Smartphone. Solche Ticketing-Lösungen realisiert Siemens bereits.

Intelligente Infrastrukturen liefern wertvolle Daten

Wieviel Digitalisierung steckt in dem Trend „intermodales Reisen“?

 

Es ist mehr als nur ein Trend. Die heutige Generation ist bestens vernetzt und nutzt Smartphones und Apps, um ihr Leben zu steuern. Soziale Kontakte, Streamingdienste, gemeinsames Nutzen von Wohnungen, Autos oder Fahrrädern, all das funktioniert internetbasiert. Dank dieser digitalen Technologien hat auch multimodales Reisen einen enormen Aufschwung erfahren. Ob mit dem eigenen Pkw, einem Leihwagen, dem Fahrrad oder mit Bus und Bahn – die Kunden können an der Haustür abgeholt und bis zum Ziel geleitet werden. Die sinnvolle Kombination aller Verkehrsmittel wird immer beliebter. Und mit den passenden Apps auf mobilen Geräten deutlich komfortabler. Dies schließt auch die Navigation zum Platz im Zug, Informationen zum Umstieg, Buchung der Tickets oder Auswahl des passenden Wagens bis hin zum Routing an die Tür ein. Die Infrastruktur auf Straßen und Schienen wird zunehmend intelligenter und liefert uns inzwischen wertvolle Daten und Informationen, die wir in nur einer App bündeln können. Für Reisende geht damit Bequemlichkeit mit größtmöglicher Flexibilität einher. Die unterschiedlichen Verkehrsmittel wachsen zu einem gesamtheitlichen Ökosystem zusammen.

Also bedeutet Digitalisierung in erster Linie, den Endkunden mit guten Apps auszustatten?

 

Nein. Das ist zwar ein wichtiger Aspekt, aber nur einer von vielen. Entscheidend ist die Vernetzung aller Beteiligten. Durch das Internet der Dinge können wir Geräte und Verkehrsmittel, die zuvor getrennt waren, sicher miteinander verknüpfen. Verkehrsbetreiber erhalten wertvolle Daten, können Hardware digital ersetzen und sparen zum Beispiel bei der Wartung Zeit und Geld, weil die Geräte mitteilen, wann sie Service benötigen – und wann noch nicht. Für den Verbraucher sind Smartphones und Smartwatches der Schlüssel zu dieser neuen Mobilität, zu einem ganzen Mobilitätsuniversum. Die Apps werden von bloßen Vertriebskanälen zu Mobilitätsangeboten. Mobilität selbst zum Service. Bislang kommunizieren Verkehrsunternehmen durch ihre Apps einseitig mit den Fahrgästen. Aber warum sollen nicht auch Reisende relevante Informationen an die Anbieter weitergeben können? Die Kommunikation zwischen Fahrer und Endkunden wird wichtiger. Unsere Lösungen bieten zum Beispiel schon heute die Möglichkeit, den roten Stop-Button im Bus über eine App zu drücken, oder noch besser, den genauen Fahrtwunsch inklusive Umstieg und Anschlusssicherung abzubilden.

Zu jeder Zeit optimal informiert

Welche Lösungen bietet Siemens?

 

Mit unseren HAFAS-Lösungen sorgen Siemens und Hacon dafür, dass Millionen Fahrgäste und Verkehrsbetreiber optimal über ihre Verbindungen und Systeme informiert sind. Mehr noch: Wir liefern einen verkehrsmittelübergreifenden digitalen Reisebegleitdienst von Tür zu Tür. Der Inhalt, der in den Apps steckt, wird zunehmend detaillierter, weil die Verkehrsmittel selbst, aber auch die Infrastrukturen – also Schienen-, Straßen und Verkehrsleitsysteme – über immer mehr und bessere Sensorik verfügen, die immer mehr Daten in Echtzeit liefert. Dazu zählen auch die sogenannten Beacons (s. Infokasten rechts). Deren Daten können unter anderem Hinweise auf Fahrgastströme liefern, sodass Verkehrsunternehmen beispielsweise ihre Kunden gezielt zu freien Sitzplätzen lenken. Im Zug beispielsweise können wir Displays nutzen und mit Informationen zum Wagenstand oder zur Auslastung des Zuges ausstatten. Wo noch freie Sitzplätze zu finden sind, ließe sich im Zusammenspiel von Fahrplanauskunft und der Ortung im Zug ganz einfach darstellen. Für uns heißt das, dass wir immer mehr Daten verschiedenster Anbieter und eine Fülle an Informationen in die Apps integrieren müssen, ohne ihre Funktionalität zu beeinträchtigen.

Und wie gelingt das?

 

Wir und auch die Verkehrsbetreiber setzen auf die Cloud und Industrie 4.0-Komponenten. Sie ermöglichen es, Daten zwischen Fahrzeugen, Unternehmen und Kunden auszutauschen. Das Internet der Dinge schafft die Voraussetzung zur Vernetzung untereinander. In diesem Bereich sind daher offene Schnittstellen wichtig – Softwaresysteme, die sich einfach und schnell ergänzen lassen oder wiederum in andere integriert werden können. Auch unsere Lösungen gestalten wir so, dass sie vielfältig kombinierbar sind. Das Ergebnis sind kleine, modulare Software-Bausteine, die sich unkompliziert an die Wünsche des jeweiligen Verkehrsunternehmens anpassen lassen. Wir stellen sie je nach Anforderung zusammen – passgenau, flexibel konfigurierbar und buchstäblich so einfach wie Lego.

Mobilität als Service der Zukunft

Was ist Ihr Ziel für die Zukunft?

 

Ich möchte Mobilität als vollständigen Service etablieren. Bisher sind die Fahrgäste gezwungen, sich im Voraus auf ein Verkehrsmittel, auf eine Fahrkarte festzulegen, und das in oft sehr unübersichtlichen Tarifsystemen. Dabei gibt es schon heute Lösungen und Beispiele, wie es anders, nutzergesteuert funktionieren kann. Technisch ist es kein Problem, auch die Tickets anderer Anbieter bis hin zu Uber-Chauffeuren in jede App zu integrieren. Hier sind die Verkehrsunternehmen gefragt. Aber noch ein Stück weiter in die Zukunft gedacht: Derzeit werden die Weichen zum autonomen Fahren gestellt, mit völlig neuen Anforderungen an Navigation und Verkehrsprognosen – das werden die neuen spannenden Aufgabenfelder für uns sein. Wir sehen uns als die Ingenieure der Zukunft.

Die sinnvolle Kombination aller Verkehrsmittel wird immer beliebter. Und mit den passenden Apps auf mobilen Geräten deutlich komfortabler!
Michael Frankenberg steht an der Spitze des Software-Spezialisten Hacon, den Siemens übernommen hat.

16.11.2017

Verkehr, Transport und Logistik sind Themen, auf die sich Hacon seit über 30 Jahren konzentriert. In Europa hat sich Hacon als führender Software-Spezialist für Planungs-, Dispositions- und Informationssysteme etabliert. Seit 2017 ist Hacon Mitglied der Siemens-Familie. Ob Reiseplanung, mobiles Ticketing oder Flottenmanagement – das HAFAS-Produktportfolio deckt alle Aspekte intelligenter Mobilität ab. HAFAS-Apps und webbasierte Lösungen verknüpfen öffentliche und private Verkehrsmittel und stellen täglich über 100 Millionen Routenberechnungen von Tür zu Tür bereit. Das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) nahm Hacon in seine Liste der „50 Smartest Companies“ weltweit auf.

Apps fürs Smartphone werden heute immer öfter zu Reisebegleitern. Sie holen den Fahrgast an der Haustür ab und helfen ihm über unterschiedliche Verkehrsmittel hinweg bis zum Ziel. Mit Hilfe von Sensoren wird die Infrastruktur intelligent und durch sichere Schnittstellen zum Internet der Dinge können Privatautos, Taxis, Leihwagen, Busse, Bahnen, Züge und Fahrräder perfekt aufeinander abgestimmt werden. Intermodal zu reisen bedeutet, dass ein einziger Anbieter die gesamte Reisekette mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln trägt und auch die Buchung übernimmt. Das multimodale Reisen bietet den gleichen Service in unterschiedlichen Transportmodi, jedoch über unterschiedliche Anbieter und Buchungsformen.

Beacons sind kleine Sender, die in festen Zeitintervallen Signale funken und so das Routing und damit die Orientierung unterwegs erleichtern. Smartphone-Nutzer können sich mit Hilfe der Sendemodule innerhalb von Gebäuden lokalisieren lassen, in denen keine GPS-Ortung möglich ist, zum Beispiel in Bahnhöfen oder U-Bahn-Stationen. Die kleinen batteriebetriebenen Sendeeinheiten ermitteln mobile Geräte metergenau – mit einer Reichweite von bis zu 30 Metern. Mit entsprechenden Apps ausgestattet, können Reisende, wenn gewünscht, die Signale empfangen. Passieren sie entsprechende Punkte, erscheinen automatisch Abfahrtstafeln, Informationen zum Gleis oder auch Störungsmeldungen auf dem Display.

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