Siliziumcarbid – ein Stoff, der Entwickler träumen lässt

Dr. Bernd Laska ist Leiter der Entwicklung für MoComp Traktionsumrichter am Standort Nürnberg. Er ist an vorderster Front beteiligt, wenn es darum geht, Schienenfahrzeuge bzw. deren Antriebsstrang weiterzuentwickeln und die ehrgeizigen Energieeffizienzziele der Fahrzeughersteller einerseits und der Kunden andererseits zu erfüllen. Das Schlüsselwort dabei heißt Siliziumcarbid, kurz SiC, ein neues Halbleitermaterial mit herausragenden Eigenschaften, das insbesondere beim Bau von Traktionsumrichtern große Vorteile bringt. Wir sprachen mit ihm über die Chancen der neuen Technologie.

Erste erfolgreiche Einsätze

Die Vielseitigkeit der Siliziumcarbid-Technologie und ihre großen Vorteile zeigen sich bereits im Fahrgastbetrieb bei den Avenio-Straßenbahnen für die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und beim ersten Einsatz des neuen Batteriezugs Mireo Plus B für die Landesanstalt Schienenfahrzeuge Baden-Württemberg (SFBW) von Siemens in der Ortenau. Gerade der Regionalzug mit seinem innovativen Batteriehybridantrieb für den Einsatz auf Strecken mit und ohne Oberleitung profitiert dabei von der SiC-Technologie. Sie sorgt für minimales Gewicht, optimale Performance und Effizienz der Triebzüge hinsichtlich Fahrleistung und Reichweite. Was das konkret heißt, wollen wir mit dem Mann besprechen, der mit seinem Team die SiC-Technologie maßgeblich mitentwickelt und für den Einsatz in Schienenfahrzeugen qualifiziert hat.

Herr Dr. Laska, Siliziumcarbid ist ja kein neues Material. Warum sorgt es jetzt in der Halbleitertechnik für Furore?

Das stimmt, traditionell wird SiC aufgrund seiner großen Härte zum Beispiel zur Herstellung von Schleifmitteln genutzt, allerdings in einer nicht besonders reinen Form. Noch relativ neu ist hingegen seine Anwendung als Halbleitermaterial in der Leistungselektronik. Die hervorragenden Halbleitereigenschaften von hochreinem SiC sind schon seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt, sie sind denen von Silizium wegen der höheren Durchbruchfeldstärke (Wide-Band-Gap-Material) weit überlegen. Allerdings benötigt man zum Bau entsprechender Halbleiterelemente SiC-Einkristalle, deren Herstellung weitaus aufwändiger ist als bei Silizium-Einkristallen, die vergleichsweise einfach aus einer Schmelze mit großen Abmessungen gezogen werden können. SiC-Einkristalle werden dagegen bei hoher Temperatur  aus der Gasphase abgeschieden und Schicht für Schicht aufgebaut. In der Anfangszeit war der Ausschuss bei der Einkristallherstellung sehr hoch. Aber in den letzten Jahren wurden wesentliche Fortschritte und Qualitätsverbesserungen in der Materialherstellung erzielt. Trotz des hohen Aufwands und den damit verbundenen hohen Kosten lohnt es sich aber: Das Material eröffnet mit seinen außergewöhnlichen elektrischen Eigenschaften völlig neue Möglichkeiten zur Herstellung neuartiger, äußerst energieeffizienter Komponenten. Sein Einsatz in Traktionsumrichtern bietet z. B. neue Optimierungsansätze hinsichtlich Energieeffizienz im gesamten Traktionssystem. 

Die Veränderung an einer Komponente kann sich in vielen weiteren Bereichen positiv auswirken. Das ist der Gedanke dahinter, dass wir bei MoComp unsere Komponenten mit der Perspektive eines Fahrzeugherstellers entwickeln.
Dr. Bernd Laska, Head of R&D Power Electronics (Auxiliary Converters & Traction Converters), Siemens Mobility GmbH

Was macht das Material denn so spannend für Sie?

Der große Vorteil ist die höhere Durchbruchfeldstärke von SiC. Mit diesem Halbleitermaterial lassen sich Bauelemente mit höherer nutzbarer Feldstärke realisieren. Man kann dadurch mit erheblich dünneren Halbleiterschichten arbeiten, was wiederum die Durchlassspannung verringert und die Schalteigenschaften verbessert. Zugleich verhält sich so ein Bauelement im eingeschalteten Zustand wie ein Ohm’scher Widerstand und ist damit hinsichtlich Stromtragfähigkeit gut skalierbar. Umrichter mit SiC-Bauelementen sind deshalb verlustarm und erlauben hohe Taktfrequenzen, was wiederum den anderen Traktionskomponenten wie Fahrmotor und Transformator zugute kommt.

Das ist aber sicherlich noch nicht alles?

Genau: Weniger Verlustleistung heißt immer auch weniger Wärme, die man abführen muss. Und da kommen wir zum nächsten Punkt: Die SiC-Bauelemente sind bei gleicher Leistung kompakter und leichter – und effizienter. Weil aber zugleich wenige Wärme abgeführt werden muss, kann man sich auch über die Kühlung der Bauelemente Gedanken machen. In einigen Anwendung besteht die Chance, die Kühlaggregate kleiner zu dimensionieren und mit geringeren Kühlluftströmen zu operieren. Das reduziert Platzbedarf und Gewicht und trägt zu einem geringeren Luftwiderstand des Fahrzeugs bei, weil die sonst durch die Luftströmungen der leistungsstärkeren Kühlaggregate anfallenden Luftverwirbelungen reduziert werden. Kommt ein kleineres Kühlaggregat zum Einsatz, kann der Hilfsbetriebeumrichter zu dessen Versorgung auch entsprechend kleiner sein, was wiederum Platz und Gewicht spart. 

Und wenn ich kleine Kühlgebläse habe, wird der Aufenthalt neben dem stehenden Zug für wartende Passagiere auch angenehmer, oder?

Die Passagiere werden die neue Technik als leise Antriebssysteme und damit als leise Züge wahrnehmen. Das hat mehrere Ursachen: Einerseits sind die Kühlaggregate kleiner und leiser, bis hin zur lüfterlosen Fahrtwindkühlung. Andererseits sorgt die hohe Schaltfrequenz der SiC-Halbleiter auch dafür, dass die durch den Umrichter angeregten Töne insbesondere in den Fahrmotoren deutlich geringer und damit angenehmer ausfallen. Ein Anfahren am Bahnsteig oder aus der Haltstelle heraus wird deshalb deutlich leiser ablaufen als bei heutigen Fahrzeugen. Wie bereits eingangs erwähnt ist die Schaltfrequenz der wesentliche Hebel, um die Motoren und Transformatoren an Bord besser zu bauen – und besser heißt energieeffizienter, leichter und leiser.

Man sollte also den Traktionsumrichter nicht isoliert betrachten, wenn es um die Optimierung des Fahrzeugs geht?

Richtig, die Veränderung an einer Komponente kann sich in vielen weiteren Bereichen positiv auswirken. Das ist der Gedanke dahinter, dass wir bei MoComp unsere Komponenten mit der Perspektive eines Fahrzeugherstellers entwickeln. Das gilt insbesondere für das Thema Energieeffizienz. Für den Kunden zählt, möglichst wenig Energie für den Betrieb des Fahrzeugs zu benötigen und bezahlen zu müssen. Das Bild zeigt das Einsparpotenzial beim Betrieb eines typischen Regionalzugs. Man sieht: Die eigentliche Energieaufnahmen aus dem Netz ist mit einem energetisch optimierten Antriebsystem durch Einsatz von SiC-Bauelementen um annähernd 10 % niedriger als bei aktuellen Fahrzeugen. Das Diagramm zeigt auch, welche Komponenten wesentlich zu den Energieeinsparungen beitragen. Neben dem Umrichter sind dies vor allem die Fahrmotoren und Transformatoren. 

Wie verlässlich sind dann solche Zahlenwerte?

Die Einsparpotenziale entsprechen realistischen Einschätzungen, hängen aber natürlich stark von der individuellen Einsatzcharakteristik des Fahrzeugs ab. Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Zahlen die heute bekannten Innovationspotenziale einbeziehen, die MoComp konsequent in der Systemoptimierung berücksichtigt. Gleichzeitig stehen wir mit der SiC-Technologie aber auch noch ziemlich am Anfang der Entwicklung, dürfen also noch auf einige Innovationen ebenso wie eine Kostenreduktion für die noch heute relativen teuren Bauelemente hoffen. Fürs Erste überzeugt sie unsere Kunden mal durch höhere Energieeffizienz, Gewichtsersparnis, die bekannt hohe Zuverlässigkeit  sowie eine geringere Geräuschentwicklung im Fahrzeug. Und in diesen Feldern sehen wir aktuell das größte Potenzial für die Technologie, sodass wir je nach Anwendung und Referenztraktionssystem eine Gewichts- und Volumenreduzierung auf Umrichter- und Traktionssystemebene von 10 % bis 25 % erreichen und  die Energieeffizienz um bis zu 13 % erhöhen wollen. Außerdem wollen wir den Fahrgästen leise Fahrzeuge zur Verfügung stellen durch leise Traktionsmotoren und optimierte Kühlsysteme – viele Herausforderungen, für die wir die SiC-Technologie in Traktionsumrichtern weiterentwickeln.