Urbane Mobilität: Masterplan gegen den Dauerstau

Das Wirtschaftszentrum Bangkok rüstet sich mit einem neuen Nahverkehrsnetz für die Zukunft. Siemens ist dabei auf vielfältigste Weise Partner der thailändischen Millionenmetropole.

Es ist keine Seltenheit: In Bangkok kommen regelmäßig Babys auf dem Weg ins Krankenhaus zur Welt. Kein Wunder – denn in der Hauptstadt Thailands herrscht notorischer Dauerstau. Wo einst Kanäle die Metropole durchzogen, quälen sich heute täglich Millionen Autos durch die Straßen. Motorrikschas, die Tuktuks, reihen sich dazwischen, und die Fahrer der Motorradtaxis versuchen, ihre Passagiere geschickt durch die Blechkolonnen zu manövrieren.

Entlastung des Straßenverkehrs

Ohne öffentlichen Nahverkehr wäre der Verkehrskollaps längst eingetreten. Mehr als sieben Millionen Fahrzeuge sind hier registriert, elf Millionen Menschen leben in der Region. Noch Anfang der 1990er-Jahre legten die Bewohner Bangkoks rund achtzig Prozent aller Fahrten mit Bus, Auto, Moped oder Taxi zurück. Während der Stoßzeiten lag die Durchschnittsgeschwindigkeit im Stadtzentrum unter zehn Kilometern pro Stunde. Da musste Abhilfe geschaffen werden. Doch Straßenbau ist aufgrund des Platzmangels keine Option, weshalb die Stadtverwaltung ihre Hoffnung auf den öffentlichen Nahverkehr setzte. Dieser hat in den letzten Jahren tatsächlich Entlastung gebracht – und daran hat Siemens einen entscheidenden Anteil.

 

1994 entwickelten Bangkoks Stadt- und Verkehrsplaner einen ambitionierten Masterplan, den Bangkok Mass Transit Development Plan. Sein Kern: über ein Dutzend neuer U-Bahn- und Schnellbahnlinien, die bis zum Beginn des kommenden Jahrzehnts realisiert werden sollen. Zwar gibt es seither immer wieder Änderungen an dem Vorhaben, doch die grundsätzliche Struktur des Plans ist erhalten geblieben. Die Division Mobility von Siemens konzipierte und realisierte in den vergangenen Jahren die ersten drei Bahnsysteme des Gesamtplans. Sie sind heute die Grundlage für den weiteren Ausbau von Bangkoks Verkehrsinfrastruktur.

 

Ein Wahrzeichen Bangkoks

Der erste Streich war der von Siemens 1998 fertig gestellte „Skytrain“, der auf zwölf bis 30 Meter hohen Viadukten über die Staus hinwegeilt – zu Stoßzeiten im Zweiminutentakt. Täglich fahren mehr als 600.000 Passagiere mit der zu einem Wahrzeichen Bangkoks avancierten Hochbahn. Aktuell wird das Streckennetz um rund 32 Kilometer erweitert.

Täglich fahren mehr als 600.000 Passagiere mit dem Skytrain – der zu einem Wahrzeichen Bangkoks avancierten Hochbahn.

Zum zweiten realisierte Siemens die erste U-Bahn-Linie der Metropole. Den Auftrag für die sogenannte „Blue Line“ erhielt das Unternehmen 2001. Sie führt in einem Halbkreis entlang einer der wichtigsten – und stauanfälligsten – Routen und verbindet den Stadtteil Chatuchak im Norden und den Stadteil Pathum Wan im Südwesten der Stadt. Der Bau war dabei recht knifflig, liegt die Stadt doch in einer Tiefebene entlang des Chao Phraya, des größten Flusses Thailands. Die Bauingenieure  mussten sicherstellen, dass – vor allem während der Regenzeit – kein Wasser in die Tunnel dringt. Die U-Bahn befördert täglich mehr als 280.000 Fahrgäste. Der Betreiber hat bei Siemens kürzlich die Erweiterung in Auftrag gegeben. 2020 werden damit weitere 28 Kilometer auf der Blue Line und 19 zusätzliche Stationen verfügbar sein. Mit dem Ausbau der Blue Line kann Bangkoks Metro voraussichtlich mehr als 500.000 Fahrgäste pro Tag befördern. Die beiden schienengebundenen Nahverkehrssysteme sind seither weiter gewachsen: Sie bestehen heute aus vier Linien, die vom Stadtinneren über 65 Haltestellen nach Norden, Nordwesten, Südosten und Südwesten führen.

 

2010 lieferte Siemens außerdem den Airport Rail Link. In seinen klimatisierten Wagen fahren heute jeden Tag bis zu 50.000 Passagiere von der Innenstadt zum 28 Kilometer entfernten Flughafen Suvarnabhumi und zurück. Ob Skytrain, die U-Bahn oder der Airport Rail Link: Alle vier Bahnen kreuzen sich zudem an mehreren Bahnhöfen, sodass ein rasches Umsteigen möglich ist. Ein willkommener Effekt dieser Verkehrsprojekte: In den Straßen hat sich die Durchschnittsgeschwindigkeit auf immerhin 18 Stundenkilometer gesteigert.

Ausbau des Streckennetzes

Doch langfristig reicht auch das nicht. Eine Prognose der Weltbank geht davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts nahezu 60 Prozent aller Bewohner Thailands in der urbanen Region rund um die Hauptstadt leben werden –  zehn Millionen Menschen mehr als derzeit. Dafür ist das bestehende Nahverkehrsnetz nicht ausgelegt. Daher soll die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bis 2021 von heute 40 auf 60 Prozent erhöht werden. Bis 2029 soll das Schnellbahn-Netz im Großraum Bangkok auf gut 500 Kilometer anwachsen.

Das Ziel: Eine stärkere Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Bis 2029 soll Bangkoks Schnellbahn-Netz auf gut 500 Kilometer anwachsen.

Der Infrastruktur-Investment-Plan sieht vor, neue U-Bahnen und Stadtschnellbahnen zu bauen oder bestehende zu erweitern. Zunächst soll so der Kernausbau des Nahverkehrsnetzes vorangetrieben werden. 2017 wird parallel an 36 unterschiedlichen Verkehrsprojekten gearbeitet, darunter der Bau und die Erweiterung von U-Bahn-Linien wie die Blue, Green, Pink, Yellow und Orange Line aber auch der Ankauf von weiteren Bussen oder die Aktualisierung des Gepäcksystems am Flughafen. Danach geht es um die Erweiterungen ins Umland.

 

Nach und nach soll das Netz der Schnellbahn-Linien im Großraum Bangkok so von seinen aktuellen rund 100 Kilometer auf eine Gesamtstrecke von gut 500 Kilometern anwachsen. Das Portfolio von Siemens hielte dafür nicht nur eigene Fahrzeuge bereit, sondern ebenso Signal- und Betriebsleittechnik, Antriebstechnik sowie die Stromversorgung oder schlüsselfertige Bahnsysteme aber auch die Wartungs- und Instandhaltungsservices.

Fahrgastzahlen vervielfachen

Siemens ist in Thailand bereits seit 1900 tätig. Während großer Überflutungen im November 2011 half Siemens, die Stadt vor dem Chaos zu bewahren, indem das Unternehmen mit Extraschichten seiner Mitarbeiter den reibungslosen Betrieb des Schienenverkehrs gewährleistete. Außerdem engagiert sich Siemens an führenden Universitäten des Landes, um Eisenbahntechnik-Ingenieure auszubilden.

 

Sollte es gelingen, das Liniengeflecht in den kommenden Jahren zügig zu erweitern, erwarten Fachleute nochmals einen sprunghaften Anstieg der Fahrgastzahlen. So rechnet das Management bei der BTS Group Holdings damit, dass sich mit der Fertigstellung weiterer Linien die Fahrgastzahlen der Yellow und Pink Line sowie des Skytrains innerhalb der nächsten drei Jahre im Tagesdurchschnitt auf bis zu 2 Millionen Passagiere belaufen werden. „Wird alles wie geplant verwirklicht, hat Bangkok langfristig zweifellos eines der besten Nahverkehrssysteme Asiens“, sagen Verkehrsexperten.

Vertrag bis 2029 verlängert

Zumindest über die Wartung der schienengebundenen Nahverkehrssysteme braucht sich die Metropole vorerst keine Gedanken zu machen. Siemens ist im Rahmen von Full-Service-Verträgen für die Instandhaltung des Skytrains und der U-Bahn Blue Line verantwortlich. Dazu gehören die Metrozüge, Signal- und Stellwerksausrüstung, die Betriebsleitzentrale und die gesamte Spannungsversorgung einschließlich der Fahrstromversorgung. Die Instandhaltung des Gleisnetzes, der Depoteinrichtung und der Werkstattausrüstung zählen ebenso dazu wie die Gebäudetechnik und Kommunikationsanlagen. Siemens unterstützt die Kunden, dass mehr als 99 Prozent der Züge ihr Ziel pünktlich erreichen. Die ursprünglich nur auf fünf bis zehn Jahre angelegten Wartungsverträge wurden zuletzt in 2014 um weitere 15 Jahre für den Skytrain und um weitere zehn Jahre für die U-Bahn verlängert. Zusätzlich hat Siemens im Oktober 2016 auch den Einstieg in die Instandhaltung beim Airport Rail Link geschafft. Hier sorgen die Techniker dafür, dass das Signalsystem rund um die Uhr zur Verfügung steht.

 

Ob auf der Straße oder auf Schienen: Ein zügigeres Vorankommen in Thailands Hauptstadt ist somit das Ziel – auch für Schwangere auf dem Weg ins Hospital. Sollten sie dennoch im Stau steckenbleiben, hat die Stadt vorgesorgt: Schnelle Hilfe verspricht eine 1993 gegründete Spezialeinheit der Polizei, die sich mit ihren Motorrädern durch das Verkehrschaos schlängelt und als ausgebildete Geburtshelfer bisher mehr als 120 Babys auf die Welt half.

19.09.2017

Hubertus Breuer

Bildquellen: von oben: 2. Shutterstock, 4. Bloomberg / Getty Images, 5. picture alliance / dpa

 

Bangkok Expressway & Metro Public Company Limited (BEM) und CH. Karnchang Public Company Limited haben ein Konsortium aus Siemens und ST Electronics (Thailand) Limited mit der Lieferung von Bahntechnik für die Erweiterung der „Blue Line“ in Bangkok beauftragt. Der Lieferanteil von Siemens umfasst 35 dreiteilige Metro-Züge, die Signaltechnik, die Bahnstromversorgung sowie die komplette Ausrüstung des Depots und der Werkstatt. Die Inbetriebnahme der Linie ist für 2019-2020 geplant.

 

Die Blue Line in Bangkok wurde von Siemens im Jahr 2004 als schlüsselfertiges Bahnsystem geliefert. Sie war die erste U-Bahnlinie in Thailands Hauptstadt. Auf der 20 Kilometer langen Strecke mit 18 Haltestellen werden rund 320.000 Fahrgäste pro Tag befördert. Die Erweiterung ergänzt die Linie um weitere rund 28 Kilometer und 19 Stationen. Ein Großteil der Strecke, die von Hua Lamphong bis nach Lak Song im Süden und von Bang Sue im Norden bis Tha Pra führt, wird oberirdisch verlaufen. Prognosen zufolge wird Bangkoks Metro nach Fertigstellung voraussichtlich mehr als 500.000 Fahrgäste pro Tag auf der Blue Line befördern. Betreiber der Linie wird Bangkok Expressway & Metro Public Company Limited.

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